04. Mai 2022

Im Interview: Sven A. Simon

Der Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München hat den Wolfgang-Ritter-Preis 2022 gewonnen.

Ihr Thema?

Meine Dissertation „Essays on the Trade-Offs for Non-Compliance and Deceptive Behavior“ beschäftigt sich mit der Erforschung betrügerischem Verhaltens im wirtschaftlichen Kontext. In vier Kapiteln werden individuelle Motive und Einflussfaktoren für die Compliance-Entscheidung mit Hilfe von theoriebasierten Laborexperimenten identifiziert. Die Arbeit zeigt, erstens, dass unehrliche Angaben auf einem mehrstufigen, zeitintensiven kognitiven Prozess beruhen. Intuitiv neigen die meisten Menschen zu ehrlichen Entscheidungen, da ihnen das Erkennen von Betrugsmöglichkeiten unter Zeitdruck schwerfällt. Ein wichtiger Betrag ist, zweitens, dass sich Menschen abhängig von ihrer individuellen Abneigung gegenüber unehrlichem Verhalten Umgebungen aussuchen, in welchen sie ihren Verdienst auf ehrliche oder unehrliche Art und Weise erzielen können. Dabei entwickelt die Arbeit auch einen innovativen Ansatz zur Messung der individuellen psychologischen Lügenkosten. Ein dritter Beitrag ist die Untersuchung betrügerischem Angabeverhaltens in Unkenntnis des tatsächlichen Verdienstanspruchs. Eine eigennützige aber potenziell unehrliche Angabe fällt Menschen unter Unwissenheit leichter, was die Arbeit auf fehlende soziale Normen und auf die Möglichkeit der Selbst-Überzeugung unter Unwissenheit zurückführt. Viertens widmet sich die Dissertation dem Compliance-Verhalten von Teams, welche sich im Aggregat unehrlicher verhalten als Einzelpersonen. Hierfür ist jedoch nicht der gemeinsame Entscheidungsprozess ausschlaggebend, sondern vielmehr kommt der Haftungsstruktur innerhalb des Teams eine entscheidende Rolle zu.

Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Doktorarbeit gestoßen?

Am Anfang stand die persönliche Faszination für die übergeordnete Frage: Warum betrügen manche Menschen schon für relativ geringe finanzielle Vorteile, während andere offensichtlich nur sehr schwer korrumpierbar sind? In den vergangenen Jahren hat sich hier ein sehr aktives Forschungsfeld entwickelt, an welches ich optimal anknüpfen und mit der Beantwortung von spezifischeren Fragen beitragen konnte. Andererseits war es mir auch wichtig, ein Thema mit einer hohen gesellschaftlichen Relevanz zu finden. Betrug im wirtschaftlichen Kontext gehört da ganz klar dazu: Ein klassisches Beispiel ist das Problem der Steuerhinterziehung, aber natürlich auch die jüngsten Unternehmensskandale wie der Bilanzbetrug von wirecard oder die Volkswagen-Emissionsmanipulation. 

Sie sind ein Vertreter der Experimentalökonomie, was versteht man darunter? 

Das Ziel dieser ökonomischen Disziplin ist, in Experimenten die Entscheidungsumgebung künstlich so zu variieren, dass man kausale Aussagen über die Ursachen von individuellem Verhalten treffen kann. Dazu laden wir Teilnehmer ein, in unserem Labor Entscheidungen am Computer zu treffen, mit denen sie ihren Verdienst aus dem Experiment beeinflussen können – es geht also um reale finanzielle Konsequenzen. Dabei nehmen die Teilnehmer an unterschiedlichen Szenarien, sogenannten Treatments, teil.  Unterschiede im Verhalten zwischen den Szenarien lassen sich so auf bestimmte Faktoren zurückführen. Zum Beispiel haben wir in einem Experiment variiert, ob die Entscheidung zu betrügen von Teams oder von Einzelpersonen getroffen wird.  

Welche Bedeutung hat eine Auszeichnung wie der Wolfgang-Ritter-Preis für Sie?

Das ist eine tolle Bestätigung meiner bisherigen Arbeit und eine große Motivation, meine Forschung fortzusetzen. Die Auszeichnung richtet sich ja unter anderem an Arbeiten zu werthaltiger Unternehmensführung und unternehmerischer Verantwortung sowie ökonomischer Nachhaltigkeit. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich mit meiner Dissertation überzeugen konnte. Zudem ist es natürlich eine große Ehre, sich in die Gruppe der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger mit ihren innovativen Ideen einreihen zu dürfen. 

Haben Sie schon eine Idee, was Sie mit dem Preisgeld machen werden?

Da werde ich vermutlich eine ganz klassische Aufteilung wählen: Einen Teil werde ich für meine große Leidenschaft, das Segeln, ausgeben. Das ist ein wirklich toller Teamsport, der zugleich Herausforderung und Entspannung bietet. Den anderen Teil werde ich für spätere Anschaffungen zurücklegen.

Welche wissenschaftlichen Karriereziele verfolgen Sie?

Nach meiner Dissertation konnte ich meine Forschung am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen als wissenschaftlicher Referent fortsetzen. Davon profitiert meine Forschung sehr, weil ich hier ein optimales Umfeld und viele inspirierende Kolleginnen und Kollegen habe. Langfristig verfolge ich eine akademische Laufbahn.  

Welche Fragen bewegen Sie in Ihrer Forschung?

Bei der Erforschung unehrlichen Verhaltens spielt persönliches inhaltliches Interesse eine große Rolle; manchmal „stolpert“ man auch durch aktuelle Ereignisse über Forschungsfragen. Aus den Unternehmensskandalen der jüngeren Vergangenheit ergeben sich beispielsweise eine ganze Reihe von Fragen: Entscheiden Teams per se unehrlicher als Individuen? Oder spielt nicht auch die Verteilung der wirtschaftlichen Konsequenzen innerhalb des Teams eine zentrale Rolle? Und als Implikation: Wie kann man betrügerisches Verhalten verhindern? Anderseits bin ich aber auch von der Experimentalökonomie im Allgemeinen begeistert. Es macht mir Spaß, theoriebasierte Entscheidungsmodelle zu entwickeln und diese dann ins Labor zu bringen. Wenn es dann gelingt, durch ein cleveres experimentelles Design die Ursachen für individuelles Verhalten zu ergründen, ist das eine große Bereicherung. Und die Methodik ist natürlich nicht nur auf die Erforschung unehrlichen Verhaltens beschränkt, sondern kann auch auf eine Vielzahl von anderen Forschungsfragen angewendet werden. 

Was ist für Sie zurzeit die spannendste Frage? 

Neben meiner Arbeit zu Non-Compliance interessiert mich derzeit, wann Individuen persönliche Entscheidungsrechte delegieren beziehungsweise eine Präferenz für staatliche Regulierung haben, und wann sie lieber selbst für persönliche Entscheidungen verantwortlich sein möchten. Hierzu entwickeln wir momentan eine Reihe von Forschungsprojekten. 

Foto: Christina Kuhaupt

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