22. Oktober 2021

Im Interview: Rebecca Ruehle

Die Assistenzprofessorin an der Vrije Universiteit Amsterdam hat den Wolfgang-Ritter-Preis 2021 für ihre Dissertation zum Thema Corporate Nudging erhalten.

Ihr Thema? 

Meine Promotion behandelt die moralische Zulässigkeit unternehmerischen Nudgings. Damit bezeichnet man die systematische Beeinflussung von z.B. Mitarbeitenden oder Kundschaft durch das Verändern des Entscheidungsumfelds. In meiner Arbeit habe ich mich vor allem mit der Frage beschäftigt, mit welcher Begründung unternehmerische Nudges gerechtfertigt werden können. Auf Deutsch kann man meinen Artikel zu den Unterschieden zwischen der ethischen Bewertung von staatlichem und unternehmerischem Nudging hier lesen.

Was bedeutet der Wolfgang-Ritter-Preis für Sie?

Der Preis ist für mich eine große Auszeichnung. Dafür bin ich sehr dankbar. Es ist gut zu sehen, dass dem Thema unternehmerische Verantwortung eine immer größere Bedeutung beigemessen wird. Der Wolfgang-Ritter-Preis hat aber auch noch eine weitere Dimension. Es ist interessant zu sehen, wie nah moralisches Fehlverhalten und soziale Verantwortungsübernahme manchmal beieinander liegen können. Wolfgang Ritter hat sein Vermögen mit Hilfe der Tabak- und Zigarettenfabrik „Martin Brinkmann AG“ aufgebaut. Zigaretten sind ein Konsumgut, das heutzutage aufgrund seiner gesundheitlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft sehr kritisch betrachtet wird. Auch die Rolle der Tabakindustrie im nationalsozialistischen Deutschland wird auf der Seite der Stiftung kaum aufgearbeitet. Andererseits war die Martin Brinkmann AG ein besonders sozialer Arbeitgeber, und Wolfgang Ritter hat sich zeitlebens für die Allgemeinheit eingesetzt. Was bedeutet dies nun für mich als Preisträgerin? Neben dem großen Gefühl der Freude hat mich der Preis auch zum Nachdenken angeregt. Ethik im unternehmerischen Kontext kann nie allein auf eine Ebene reduziert werden. Wir müssen stets individuelles, organisatorisches und wirtschaftspolitisches Handeln betrachten. Auch heute sollten Wirtschaftsakteure nicht nur auf einer, sondern auf allen dieser drei Ebenen Verantwortung zeigen.

Schon eine Idee, was Sie mit dem Preisgeld machen werden?

Ich möchte das Geld an Mädchen und Frauen spenden, die weniger Chancen auf Bildung haben als ich sie hatte. Das ist zum einen eine Frage der Gerechtigkeit. Zum anderen wissen wir, dass sich Investitionen in die Bildung von Frauen auch hinsichtlich des Klimaschutzes auszahlen. Ich habe mir hierfür das Projekt Schulbesuch statt Kinderarbeit von Brot für die Welt ausgesucht. Viele Kinder, vor allem Mädchen, müssen in Bangladesch unter schlimmen Bedingungen arbeiten. Ich hoffe, dass Bildung für sie ein Weg aus der Armut sein kann. Außerdem möchte ich einen Teil des Geldes an UN Women für Hilfe in Afghanistan spenden.

Wie ist Ihre aktuelle Position? 

Ich arbeite derzeit als Dozentin und Wissenschaftlerin für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Vrije Universiteit Amsterdam (Assistant Professor of Business Ethics, Tenure Track). Es macht mich sehr glücklich, dass mir die Vrije Universiteit Amsterdam nach dem Abschluss meiner Promotion so großes Vertrauen entgegengebracht hat. Ich trage unter anderem Verantwortung für die Wirtschaftsethik-Vorlesungen in dreien unserer Masterstudiengänge und kann meine Forschungsinteressen weiterverfolgen. 

Ihr wissenschaftliches Hauptinteresse gilt ….?

vielen Bereichen in der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Als Philosophin beschäftigen mich u.a. Fragen nach Rechtfertigung und Legitimität unternehmerischen Handelns. Mich fesselt das Thema meiner Promotion immer noch.

Welche wissenschaftliche Frage (in Ihrem Arbeitsgebiet) möchten Sie unbedingt noch beantworten? 

Viele unserer Entscheidungen treffen wir mittlerweile in Apps am Mobiltelefon oder in Web-Browsern am PC. Auch dort nutzen Unternehmen und andere Organisationen Wissen aus der Psychologie, um unsere Entscheidungen zu beeinflussen. Derzeit beschäftigt mich u.a. die Frage, wie Autonomieverletzungen aufgrund dieser Onlinebeeinflussung bewertet werden müssen und welche Maßnahmen sie sinnvoll einschränken können. 

Foto: Frank Pusch

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