Die Welt der Robotik ist faszinierend und international stark vernetzt. Der junge Bremer Claas Ehmke gehört dazu: Er hat beispielsweise am MIT in Boston einen Roboterhund zur Unterstützung von Klinikpersonal während der Covid-19 Pandemie mitentwickelt und forscht über verschluckbare Roboter genauso gern wie über fahrerlose Rennboliden.
Das Massachusetts Institute of Technology in Boston – Sehnsuchtsort für fast jeden technikbegeisterten jungen Wissenschaftler. Für Claas Ehmke hat sich dieser Traum erfüllt. Nach dem Abitur am Kippenberg-Gymnasium und dem Studium in München, Singapur und Zürich hat er 2020 in den USA für seine Masterarbeit forschen dürfen. „Die Stelle dort war wie für mich gemacht“, sagt er.
Translationale Medizin
Denn Ehmke geht es um mehr als die reine Informatik. „Mich fasziniert die Interaktion zwischen den drei Robotik-Bereichen Elektrotechnik, Mechanik und Informatik. Das Potenzial, einen persönlichen und auch gesellschaftlich relevanten Impuls in allen drei Bereichen zu setzen, sehe ich in der Robotik-basierten translationalen Medizin.“ Hier spielen noch die Bereiche Chemie, Biologie und Medizin mit hinein. Der Forschungsbereich ist noch relativ jung, aber er hat extrem gute Aussichten.
Roboter als Pille
Die Masterarbeit, die er Anfang 2021 abschließt, dreht sich um verschluckbare Roboter. „Ich forsche an Robotik-Lösungen für den Magen-Darm-Trakt und entwickle einen Roboter, den man wie eine Pille verschluckt. Seine Sensoren messen Werte im gesamten Darm. Diese Werte sind wichtig für die Diagnose und Behandlung bei chronischen Darmkrankheiten.“ An dem Thema bleibt Ehmke dran: Ab Februar 2021 startet er in Zürich sein Doktorandenstudium im Bereich flexibler Mikroroboter mit medizinischem Fokus.
Roboterhund Dr. Spot
In Boston hat er aber nicht nur an seiner Masterarbeit geschrieben. Der pandemiebedingte Lockdown hat die Prioritäten akut verschoben: „Meine Forschungsgruppe am MIT und das Brigham and Women’s Hospital (Lehrkrankenhaus der Harvard Medical School) haben sofort eine Kooperation mit Boston Dynamics gestartet, um Vitalwerte (Herzrate, Temperatur, Atemrate und Blutsauerstoffgehalt) von potenziell mit Covid-19 infizierten Personen kontaktlos mit vier Kameras zu messen und somit das Infektionsrisiko von klinischem Personal zu reduzieren.“ So entwickelten sie den Roboterhund Dr. Spot, der in den USA Schlagzeilen in der Pandemiebekämpfung machte. Denn das klinische Personal kann mit seiner Hilfe effizienter und sicherer eine Vordiagnose stellen und seine Arbeitslast merklich reduzieren.
Fernbedienung für Beatmungsgerät
Zugleich hat Ehmke mit fünf Freunden aus Zürich – in Reaktion auf einen Hilferuf von Krankenhäusern an die Industrie – eine Fernbedienung für Beatmungsgeräte entwickelt. Diese müssen häufig und intensiv kontrolliert werden. Dazu muss das medizinische Personal jedesmal eine komplette Schutzkleidung anlegen, in das Intensivzimmer hineingehen, sich einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen und anschließend die wertvolle Schutzkleidung wieder vollständig entsorgen. Dies kostet Ressourcen, Zeit und Kraft. „Unsere Lösung, im universitären Umfeld eng mit einem der größten Beatmungsgerätehersteller der Welt entwickelt, hilft erheblich in der Pandemie, zeigt aber auch ein Zukunftskonzept auf, um den Klinikalltag auch während normaler Zeiten mit einem kleinen Gadget sicherer und wirtschaftlicher zu gestalten“, so Ehmke.
Rennwagen „driverless“
Eine weitere Leidenschaft des Bremer Nachwuchswissenschaftlers ist das autonome Fahren. Ehmke war Kernmitglied des „driverless“-Rennteam des Akademischen Rennsportvereins Zürich (AMZ) für autonom fahrende Autos, das schon einige internationale Wettbewerbe gewonnen hat. Der Verein hält übrigens den Guinness-Weltrekord für das am schnellsten beschleunigende Fahrzeug (von 0-100 kmh in 1.513 Sekunden). Ehmke war in dem Team mit einem Kollegen für den Kartierungs- und Lokalisierungsalgorithmus verantwortlich und hat sich um die gesamte Fahrzeugelektronik gekümmert.
Algorithmen für Rennwagen – und den Darm
Die Boliden-Begeisterung lehnt sich eng an Ehmkes wissenschaftliches Hauptinteresse an. „In der Robotik ist alles sehr stark miteinander vernetzt und die Technologien verschiedenster komplett unterschiedlicher Themen ähneln sich. So können zum Beispiel verschiedene Lösungen im autonomen Fahren auch leicht abgeändert in der Medizintechnik verwendet werden. Will sagen: Im AMZ arbeite ich mit Kartierungs- und Lokalisierungsalgorithmen, um autonome Fahrzeuge auf der Strecke zu lokalisieren und die Strecke automatisch zu vermessen. Auf Basis der gleichen Algorithmen kann eine 3D-Karte der Lunge oder des Darms mit Endoskopen erstellt werden.“ Als nützliches Hilfsmittel dient natürlich auch die künstliche Intelligenz: „Sich über die neuen Erkenntnisse und Möglichkeiten dieser Technologie zu informieren und diese auch zu verstehen, ist für mich und meine Forschung wichtig.
Biographische Klammer
Claas Ehmke ist also auf einem vielversprechenden Weg und das MIT wird nicht nur eine Etappe auf diesem Weg bleiben. Er hat Anschluss an die internationale wissenschaftliche Community gefunden – auch dank der Wolfgang-Ritter-Stiftung. „Die Förderung der Stiftung war und ist sehr wichtig für mich. Damit konnte ich mich in den USA voll auf meine Forschung konzentrieren.“ Boston, sagt er, ist bisher die teuerste Stadt, in der er gelebt hat; die Lebenshaltungskosten für Studenten sind weit höher als in München, Singapur oder Zürich. Hinzu kommt noch ein besonderer biographischer Bezug: „Mein Vater hat sein ganzes Leben bei der Martin Brinkmann AG gearbeitet. Von ihm habe ich, was die Herangehensweise zur kreativen technischen Problemlösung angeht, viel gelernt.“